Bei uns sagt man,

dass die dreckige Wäsche nicht draußen gewaschen werden darf. Also habe ich nie über Politik gesprochen. Ich habe immer befürchtet, meine Worte könnten aus dem Kontext herausgerissen und in ein ganz anderes - von mir nicht beabsichtigtes - Licht gerückt werden.

18.11.2012


16 Jahre in Deutschland. Dabei war mir bei jedem Interview immer bewusst: Ich werde als "die israelische Sängerin" wahrgenommen. Welche Tagesquote kann ich also für die deutsche Presse erfüllen? Four birds in one hand. Ich als Nichtdeutsche, Israelin, Jüdin, die etwas zum Nahostkonflikt sagen kann, über Krieg erzählen und über die Gefühle einer Jüdin in Nachkriegs-Deutschland (schöne Worte, um das Holocaust-Thema anschneiden zu können). 


Diese Themen, so wichtig sie für mich sind, sind zu groß und zu komplex, um ihnen in einem "200 Wörter-Interview" gerecht zu werden. 


Bei uns sagt man, dass die dreckige Wäsche nicht draußen gewaschen werden darf. Und lange hat dies für mich Sinn gemacht. Denn so viele Leute hier haben sich eine Meinung über die Situation in Israel gebildet, ohne wirklich etwas darüber zu wissen. Ich wollte ihnen nicht auch noch Munition liefern. 


Aber jetzt muss ich das alles im Kauf nehmen, um etwas zu sagen. Zu sagen:  

Es reicht! Auf beiden Seiten: Es reicht! 


Es reicht mit "Fear Mongering" (The use of fear to influence the opinions and actions of others towards some specific end). Angst ist ein sehr starkes Gefühl, das uns blind machen kann. Blind auf allen anderen Ebenen. 


Angst beschäftigt die israelische Gesellschaft verstärkt seit einem Jahr. Angst wird durch die Nachrichten verbreitet. Die Aussagen der Armee, die der Regierung, die der selbsternannten "Ich-weiß-etwas-was-du-nicht-weißt"-Korrespondenten oder die der schon in Vergessenheit geratenen ehemaligen Armeeoffiziere oder Politiker. Im Radio,im Fernsehen, im Internet. Jeden Tag. Und seit ein paar Tagen den ganzen Tag. 


Erst war es die Iran-Atom-Problematik. Und das kurz nachdem 400.000 (!) Menschen in Isreal auf der Straßen gegangen sind, um gegen soziale Ungerechtigkeit zu demonstrieren. (Das wäre vergleichbar mit 5 Millionen (!)demonstrierender Menschen in Deutschland). 


Jetzt ist es die Hamas-Problematik - kurz vor den Wahlen. 


Könnte es wirklich so zynisch sein? Wird die Angst in beiden Gesellschaften (in der israelischen und in der palästinensischen) als Mittel von Politikern benutzt, um uns zu betäuben? 


Jetzt redet keiner mehr in Israel über soziale Ungerechtigkeit. Jetzt redet keiner mehr in Gaza darüber, dass die Hamas-Regierung mehr schlecht als recht agiert und dass die Menschen jeden Tag leiden. Nicht wegen Israel, sondern wegen interner Entscheidungen, die genauso gut anders hätten sein können. Keiner beschwert sich über Desinformation und über demagogische Darstellung. Jetzt kommen alle zusammen. Jetzt wird geschossen. 


Könnte es sein, dass die politische Mächtigen uns - Israelis und Palästinenser - als Bauern in ihrem eigenem Schachbrett benutzen, ohne darauf zu achten, was für uns wichtig ist. Dass wir alle einfach in Frieden leben wollen. Dass die Mütter auf beiden Seiten ihre Kinder zur Schule und zur Uni schicken wollen und nicht in den Krieg. Dass wir alle ein Arbeit haben wollen, von der wir uns und unsere Familien respektabel ernähren können. Dass wir alle nicht mehr in diese Ungewissheit leben und eine langfristige Perspektive haben wollen. 


Wie ist es möglich, dass eigentlich alle wissen, wie dieser Konflikt beendet werden kann - und keiner tut was? Die Lösung "Zwei Staaten für zwei Völker" scheint sich immer weiter zu entfernen. Wieso eigentlich? Was hat sich geändert? Nur die sich selbst erfüllende Prophezeiung, dass man "keinen Partner" hat. 


Also gut. Jetzt hat Mr. X und Mr. Y noch ein politisches Jahr gewonnen. Aber was passiert danach? In fünf Jahren? In zehn Jahren? 


Efrat Alony