Veröffentlichung auf dem "Gama Virtuos" Magazin
3/2020

zur Thema : "Wann haben Sie das letzte Mal Grenzen überschritten ?" 

04.11.2020

E.Alony 

 

Alles, was wir sagen, tun oder NICHT tun ist politisch. Genauso fließt letztendlich alles, was ich bin, lese, denke, anhöre und diskutiere in mein musikalisches Universum ein. Alles ist miteinander verwoben.

 

Was sind Grenzen überhaupt? Es sind Restriktionen, die von der Außenwelt (Gesellschaft/Familie) aber auch von uns selbst aus unserem Inneren, aufgedrängt werden - Fesseln, die ich mir selbst anlege, und zwar aufgrund meiner eigenen Wahrnehmung, meiner vorgefassten Meinungen und Irrmeinungen, meiner Tugenden und Fehler, meiner Deutungen von angemessen und unangemessen. 

Manchmal ist es schwer zu erkennen, wo eine Restriktion ihren Ursprung hat. 

Die Frage ist also die, wie ich tatsächliche und selbstauferlegte Restriktionen hinterfrage bzw. mit ihnen umgehe.

 

Aus musikalischer Sicht hatte ich schon immer eine TIEFE Abneigung gegen das Konzept von „Grenzen“, gegen feste Genres und Schubladendenken. Ich finde so etwas denkfaul, einschränkend, inspirationslos und vor allem ein mageres Abbild  für unsere dynamische mehrschichtige Welt, wo ALLES mit allem verknüpft ist

Meine Arbeit lebt genau in dem unsichtbaren Raum zwischen den „SCHUBLADEN", in denen wir getrimmt wurden, zu denken. Meine Musik lebt von der Vermischung akustischer und elektronischer Klänge oder der Verschmelzung israelischer Einflüsse mit Pop und Jazz, oder wie in meinem Projekt „Händel-Fast Forward“, in dem ich mit Händels Musik spiele und sie in einen modernen Kontext stelle. 

Mein neuer Fokus liegt auf der Verbindung von Humor und Tiefe in Musik. Zwei gegensätzliche Pole, die nur schwer miteinander vereinbar zu sein scheinen. Für mich ist genau DAS die Herausforderung, die das Leben eigentlich darstellt. Leicht und schwer, fröhlich und traurig, hoffnungsvoll und entmutigt zu sein – alles gleichzeitig. Die Übergänge sind fließend und damit grenzenlos.

 

Auf persönlicher Ebene überschreite ich Grenzen jeden Tag. Indem ich nicht in meiner Heimat lebe, indem ich mich als Jüdin und Atheistin gleichzeitig definiere, indem ich mich bewusst mit meiner Rolle als Jüdin/ Musikerin/ Komponistin / Frau / Ausländerin /Israelin in Deutschland  auseinandersetze und darauf bestehe, meine eigenen kritischen Meinungen zu vertreten, die manchmal zu keiner der Gruppen, zu denen ich theoretisch gehören würde, wirklich passen. 

Das Schwierige und gleichzeitig das Tolle daran, zu mehreren Minderheiten zu gehören, ist dieses Gefühl, alles immer von außen zu betrachten: 

Es wird nie bequem werden – aber es erlaubt einem Perspektiven, die man von innen nicht sehen kann.